Der Diesel, der Fußball und das abgestürzte Sommermärchen
2015 ist offensichtlich ein Seuchenjahr für den vorbeugenden Selbstkontroll-Reflex unserer Wirtschaft. Bekannt ist diese Beschwichtigungsmechanik unter dem Begriff “Compliance”.
Die allmählich transparenter werdenden Syndikats-ähnlichen Konstrukte der FIFA nebst ihren zwielichtigen Akteuren auch auf Seiten der UEFA offenbaren einen schmierigen Sumpf von Korruption, Gier und Realitätsverkennung.
Der Filz ist so dicht gesponnen, dass die Verflechtung von Wirtschaft, Sport und Politik kaum noch aufzdröseln ist. Wer will da noch ernsthaft behaupten, ohne Schuld zu sein?
Korruption ist nicht hinnehmbar
Und nun erreicht Blatters langer Korruptionsschatten auch noch den Deutschen Fußballbund und sein Sommermärchen der WM 2006. Zwischen beiden Skandalen lag die Aufdeckung von Dieselgate, dem VW-Desaster.
Die Gemeinsamkeiten der Skandale bestehen zunächst im nicht hinnehmbaren organisierten Betrug in kaum vorstellbaren Dimensionen um der persönlichen und/oder unternehmerischen Vorteilsnahme willen. Verfolgung, Ahndung und Prävention von Wirtschaftkriminalität sind gerade auch in liberalen Gesellschaften Voraussetzungen für eine funktionierende Demokratie und Marktwirtschaft.
Compliance wird aber auch immer dann rasch ins Feld geführt, wenn Schlimmes ans Licht dringt und der Gesetzgeber allen Anlass hat, mit legislativer Initiative vorstellig zu werden, um Missbrauch einzudämmen. Wenn er es denn nur mal täte!
Tugendterror statt Effizienz?
Gemeint ist aber seitens der Wirtschaft damit, eigenverantwortlich, frei von staatlicher Maßregelung, kontrollierbare und kontrollierte, verbindliche Regelungen für ein korruptionsfreies Geschäftsgebahren zu implementieren.
Da es dies nicht von Staats wegen verbindlich für alle nach einem Maß vorgegeben wird, bastelt sich jedes Unternehmen seinen eigenen Compliance-Leitfaden.
Sage und schreibe 740 Compliance-Richtlinien hat beispielsweise Siemens zusammengetragen. Wir erinnern uns: der Konzern, der den Compliance-Boom auslöste durch die Aufdeckung des weitreichenden Korruptionsskandals ab 2006.
Das scheint aber in der Spitze nicht oder nur unzureichend zu greifen: Im Zusammenhang mit den Betrugsaffären rund um das Berliner Pannengroßprojekt BER besteht leider auch gegen Siemens wieder ein Korruptionsverdacht.
Gesetzliche Regelungen für alle
Der neue VW-Chef Matthias hat zwischenzeitlich mit der ehemaligen Verfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt die bisher oberste Compliance-Hüterin von Mercedes zu VW gelotst. Zum ersten Januar tritt sie in Wolfsburg ihren neuen Job an als Vorstand für Recht und Integrität.
Hohmann-Dennhardt soll Müller dabei helfen, für VW die striktesten Compliance-Richtlinien Deutschlands auf den Weg zu bringen. Zusammen mit dem, was sich über dem deutschen Fußball und der deutschen Wirtschaft durch das abgestürzte Sommermärchen der WM 2006 an nachträglich enthüllten Korruptionsmachenschaften zusammenbraut, lässt dies für die Gesamtwirtschaft nichts Gutes erahnen.
„Die Republik im Tugend-Terror“, titelte Handelsblatt-Kolumnist Wolfram Weimer bereits 2012 und kritisierte: „Die am schnellsten wachsenden Aktivitäten in unseren Konzernen kommen daher aus den Compliance-Abteilungen – dort arbeiten die neuen Moralapostel der Moderne. Unter dem Siegel der Regeltreue und Korruptionsbekämpfung entfesseln sie Kontrollsucht und Regelbürokratie.“
Werbeartikel und Compliance-Wahn
VW, das verbrannte Sommermärchen und die FIFA-Machenschaften werden das Verunsicherungspotential natürlich weiter schüren und im Zweifel auch den Einsatz von Werbeartikeln belasten. Bevor man nicht weiß, ob Werbeartikel im eigenen Unternehmen Richtlinien-konform sind, verzichtet man sicherheitshalber ganz darauf: „Geschenke wie Jahreskalender oder Kugelschreiber werden nicht mehr angenommen oder notfalls zurückgeschickt“, moniert der Düsseldorfer Rechtsanwalt Dr. Frank Hülsberg in seinem Blog.
Der Compliance-Spezialist gibt zu bedenken: „Ist dies alles noch angemessen und richtig? Oder stellt es den Anfang einer Überregulierung dar, die zur zementierten Mindest-Ausstattung für andere Unternehmen sowie kommende Generationen von Unternehmensleitern, Vertrieblern, Einkäufern und sonstigen ‚gefährdeten Personen‘ zu werden droht? Klar ist: Korruption und Wettbewerbseinschränkungen sind ein Übel und haben in Wirtschaft (und Verwaltung) nichts zu suchen. Aber all das darf das menschliche Miteinander nicht unmöglich machen.“
Die Politik hält sich – leider – weiter bedeckt. Dabei wäre es ein Leichtes, die Eigendynamik eines unsinnigen Rigorismus’ zum Wohle eines jenseits von Korruption funktionierenden Wirtschaftslebens zu zügeln durch klare Vorgaben von Geringfügigkeitsgrenzen.
Das hat natürlich Konsequenzen, wie Hülsberg treffend konstatiert: „Wenn man eine Wirtschaft frei von jeglichen Berührungspunkten außerhalb des Schriftverkehrs und der Konferenzzonen will, ist man auf einem guten Weg.“